Freitagsansprache von 29.09.2017
von Ayatollah Dr. Ramezani Imam und Leiter des Islamischen Zentrums Hamburg e.V
Im Namen Allahs, des Barmherzigen, des Allerbarmers
Aller
Lobpreis gebührt Gott, dem Erhabenen, dem Herrn aller Welten. Wir
danken Ihm für Seine Gnade und Seine Gaben und bitten Ihn um Hilfe und
Rechtleitung in allem, was wir tun, und hoffen, dass Er uns in Seine
Gunst aufnimmt. Sein Frieden und Segen sei mit unserem Propheten
Muhammad, seinen reinen Nachkommen und seinen rechtschaffenen Gefährten.
O Diener Gottes, ich rate mir selbst und Ihnen allen zur Ehrfurcht vor
Gott und zum Gehorsam gegenüber Seinen Geboten.
Da eine religiöse Gemeinschaft aus gläubigen Personen
besteht, müssen diejenigen, die in einer religiösen Gemeinschaft mit religiösen
Verordnungen leben wollen, ihre Denk- und Sichtweise diesen religiösen
Verordnungen anpassen. Sie dürfen nicht ihr Verständnis der Religion
aufzwängen, sondern versuchen – mit Hilfe der Gelehrten – sich mit den religiösen
Gepflogenheiten vertraut zu machen, sie richtig zu verstehen und ihr Leben
danach zu richten. Mit anderen Worten muss derjenige, der die richtigen
religiösen Verordnungen kennt, sein Leben auch nach diesen Verordnungen gestalten.
Subjektive und selektive Ansichten über die Religion der
Hauptgrund für Religionsfeindlichkeit
Einige versuchen, aus verschiedenen Beweggründen, der
Religion ihre eigenen Ansichten und Glauben aufzuzwängen, oder auch den anderen
diese Sichtweise, dass die Religion keine Lebensverordnung beinhaltet, zu
induzieren. Diese glauben beispielsweise, dass das, was im Koran steht, nur
eine handvoll Geschichten, und ein paar Predigten und Weisheiten, ist. Daher
kann man darin auch keine Richtungsweisung fürs Leben finden. Manche gehen
sogar so weit, dass sie sagen, dass einige Koranverse veraltert und nicht mit
der heutigen Gesellschaft in Einklang zu bringen seien, und deshalb müsse man
sie abschaffen. Diese selektive Sichtweise hat das Resultat zufolge, dass
einige eine sehr kleine Übersicht über den Islam und allgemein über Religion
haben. Sie glauben, dass die Religion, und auch der Islam, nur auf das
Minimale, was der Mensch braucht, hinweise. Daher könne man auch nicht
erwarten, dass man aus dem Koran die lebensgrundlegenen Verordnungen, wie
ethische, kulturelle, wirtschaftliche oder politische Aspekte, herausdefinieren
könne. Dieser Sichtweise zufolge sei die Religion nicht in der Lage, alle
Aspekte, die das menschliche Leben betreffen, zu decken. Solche Leute glauben,
die Religion sei eine persönliche Erfahrung, und jeder könne sie – je nach
seinen Gottesanbetungen in den Stunden der Einsamkeit – erhalten und erfahren.
So dürfe man nicht erwarten, dass so eine Erfahrung die Lebensgrundregeln
beinhalte.
Stellung der Religion bei der Rechtleitung der
Gesellschaft
Was man unbedingt beachten muss, ist, dass die Religion
eine Schlüsselrolle bei der Rechtleitung des Individuums und der Gesellschaft
spielt. Daher müssen die Gläubigen an die wichtige Rolle der Religion bei der Erziehung
und Rechtleitung der Menschen in der Gesellschaft glauben. Die heutigen
ethischen Probleme und Herausforderungen in der Gesellschaft kommen von der
Distanzierung von den religiösen Lehren. Diese Distanzierung kommt daher, weil
die Wahrheit der Religion sich nicht – so wie es sein soll – im Leben der
Menschen manifestiert hat.
Wie gesagt, der Hauptgrund für die ethischen Probleme in
der Gesellschaft ist, dass die religiösen Tatsachen in Vergessenheit geraten.
So müssen diejenigen, die religiöse Sorgen im Leben haben, in erster Linie sich
der wichtigen Rolle der Religion bei der Erziehung und Recgtleitung der
Menschen in der Gesellschaft klar werden, und daran glauben, dass der Mensch
für seine Seeligkeit im Dies- und Jenseits die Religion benötigt, und auch, um
sich vor den Schäden und Schädlingen zu bewahren.
Religiöse Sichtweise
Religiöse Sichtweise bedeutet, dass ein gläubiger Mensch
eine richtige Sichtweise und Weltanschauung haben muss, um sein Verhalten sich
selbst und anderen gegenüber regeln zu können. Diejenigen, die eine konstante
und religionsbasierte Sichtweise haben, besitzen nämlich eine tiefgründige und
weitreichende Sichtweise und Verständnis. Sie versuchen, bei Unfällen und Katastrophen
eine geeignetes Verhalten vorzulegen, und nicht zu übertreiben. Auch unter den
Forschern existiert die Meinung, dass die Sichtweise von Gedanken, Glauben,
Gefühlen und Neigungen herrührt.
Im Koran wird erwähnt, dass die Ursachen, die die
Sichtweisen der Menschen – je nach Bedingung – formen und ändern,
unterschiedlich sind. Zum Beispiel ahmt ein Kind, das noch nicht in der Lage
ist, zu verstehen und zu analysieren, den anderen nach. So ist die Rolle der
Eltern und Pädagogen in diesem Lebensabschnitt sehr gravierend – Imam Ali
(gegrüßet sei er) sagt in diesem Zuammenhang: „Das Erlernen von Wissenschaften
im Kindesalter ist wie eine Gravur auf einem Stein.“
In einer anderen Überlieferung von Amam Sadegh (gegrüßet sei er) steht: „Lehret
euren Kindern die Hadith, bevor die Murdschi'a
sie auf Irrwege verführen.“
Aus diesem Grund wird auch den Eltern empfohlen, während ihr Kind noch nicht
zur Welt gekommen ist, das Gebet und die Koranrezitation nicht zu verpassen,
und nach der Geburt, als erstes in seinem rechten Ohr das „Azan“,
und in seinem linken Ohr das „Iqama“
zu flüstern. Diese Empfehlungen sind dafür, damit der Erziehungsablauf eines Menschen
schon ab der Geburt den richtigen reigiösen Verordnungen verläuft, damit auch
die Sichtweise richtig geformt wird. Schon aus diesem Grund sind die Eltern das
beste Verhaltensvorbild für das Kind und müssen besonderen Acht auf ihr
Verhalten geben. Im Erwachsenenalter ist diese Nachahmung in einer anderen Form
gravierend. Beispielsweise können die Wiederholung der Tagesgebete, die
täglichen und wöchentlichen Gebete, und Teilnahme an den religiösen Zeremonien,
eine große Hilfe bei der Bildung einer richtigen Sichtweise sein. Der Koran
legt großen Wert auf die Rolle des Vorbildes und auf die Nachahmung, und sagt:
„Ihr habt doch ein schönes Beispiel in Abraham und denen, die mit ihm waren“.
Ein weiterer Aspekt, der in der Formung der religiösen
Sichweise eine wichtige Rolle spielt, ist die Konzentration auf „Verstand und
Logik“. Im Koran wird auf verschiedenen Weisen im Leben der Propheten darauf
hingewiesen, wie, wenn Prophet Abraham die Sichtweise der Menschen zu ändern
versuchte. Koran sagt darüber: „Als nun die Nacht ihn umhüllte, sah er einen
Stern. Er sagte: «Das ist mein Herr.» Als der aber verschwand, sagte er: «Ich
liebe die nicht, die verschwinden.»
Hier wird darauf hingewiesen, dass alles, was verschwindet, einem Gesetz
unterlegen ist, und aus diesem Grund kein Überlegener sein kann. So ist es eine
Schöpfung und was eine Schöpfung ist, kann auch kein Schöpfer des Daseins sein.
Auf dieser Weise überzeugte er die Sternenanbeter, wies sie auf ihr Fehler hin,
und korrigierte somit den Fehler, der sich in ihnen gefestigt hatte. Auch mit
den Götzendienern kommt Abraham mit Logik vor. Als Abraham – als Lehrer des
Monotheismus – gefragt wird, ob er die Götzen zerschlagen hat, sagt er, um sie
auf ihre falsche Ideologie aufmerksam zu machen, und sie von der Anbetung
dessen, was falsch ist, zu befreien: „(Er sagte:) «Nein, getan hat das dieser
da, der Größte unter ihnen. Fragt sie, so sie reden können.»“
Dieser Satz erweckte viele von ihnen aus ihrer Unwissenheit, und führte dazu,
dass sie sich tadelten. Danach sagte Abraham: „(Er sagte:) «Wie könnt ihr
anstelle Gottes das verehren, was euch nichts nützen und nicht schaden kann?
»“
Solche Vorgehensweise und Begründung führt dazu, dass der Zuhörer seine falsche
Sichtweise ändert. Man darf natürlich nicht vergessen, dass der geeignete
Zeitpunkt für die Änderung der Sichtweise besonders wichtig ist. Ein Lehrer und
Pädagoge muss all diese Faktoren in Betracht ziehen und sich um die Änderung
der Denkweise bemühen. Schon aus diesem Grund hat das „Denken“ im Islam eine
besondere Stellung. Imam Ali (gegrüßet sei er) sagt dazu: „Kein Wissen ist wie
denken“,
und eine weitere Weisheit besagt: „Eine Stunde denken ist besser als ein Jahr
beten.“
All dies besagt, dass Nachdenken, einerseits die
Grundlage dafür schafft, damit der Mensch aus seiner Unwissenheit erwacht und
klar sieht, und andererseits ihn rüttelt, damit er sich verbessert und mit sich
ins Klare kommt. Aus diesem Grund wird auch im Koran und in den Überlieferungen
dem Nachdenken großen Wert beigemessen.